(Oskar Sala, Gespräch vom 1. September 1989)
Wie kamen Sie eigentlich dazu, zu Ihrem Musikstudio noch ein Film- bzw. ein Cutstudio einzurichten? Haben Sie sich diese Techniken auch selbst angeeignet?
Ja, natürlich. Mit dem Film ging es nach dem Krieg los, wobei ich dazu auch noch etwas sagen will: Ich weiß nicht wer da nun so eine komische Meinung aufgestellt hat, denn auf einmal heißt es, die Musik auf dem Trautonium wäre nun bis zum Kriegsende schon so lang gelaufen und nach dem Krieg habe man sich nicht mehr dafür interessiert, also einen größeren Blödsinn habe ich noch nicht gehört. Was hätte ich denn nach dem Krieg machen sollen, als die vielen neuen Aufgaben wie eine Lawine über mich hereinbrachen. Ich habe ja vor dem Krieg auch schon viel gemacht – habe ich gedacht –, aber was nach dem Krieg losging, das war ja einfach unbeschreiblich.
Ich kam nach Berlin zurück, das war 1947, da haben sie mich aus meiner Thüringischen Heimat geholt – wo ist denn der Kerl jetzt, der wohnt in Thüringen, der muss doch hierher – und ab 1948 ging es Schlag auf Schlag: Erstens haben wir Jeanne d’arc gemacht an der Städtischen Oper, zweitens haben wir Faust gemacht mit Dessaus Musik drüben im Deutschen Theater; allein schon die Transporte und der Aufbau waren zeitraubend. Dann kam Genzmer 1952 mit seinem zweiten Trautoniumkonzert ((Das zweite Trautoniumkonzert wurde 1952 uraufgeführt.)), dazu haben wir noch weitere Konzerte gemacht, dann habe ich im RIAS gespielt und eigene Kompositionen in Bremen aufgeführt. Also wenn ich irgend etwas nicht hätte machen können, so wären dies Experimente a la Kranichstein, das war völlig ausgeschlossen, es gab weder Zeit noch Raum. Ich konnte ja kaum aufschnaufen, ich bin ja ständig bloß noch hin- und hergerast.
Und dann kam der Film. Und der hat das Ganze dann sozusagen abgewürgt, und Sie haben ja selbst gehört was dabei für eine Zahl herauskommt: Musik zu über 400 Filmen. – Ich meine, ich bin selbst erstaunt, dass es so viele sind, ich dachte immer so an 300, das würde auch reichen, das ist auch schon eine Menge. Und dadurch hat mich das Experimentelle auch gar nicht interessiert, ich hätte das gar nicht machen können. Ich war doch in fast allen deutschen Städten, in Hamburg, in Düsseldorf, in München, in Stuttgart, es fällt mir jetzt alles gar nicht ein, das waren doch alles Repertoire-Aufführungen, da musste ich doch wieder hin, die machen es doch nicht nur einmal.
Wer hat denn dann diese Repertoire-Aufführungen gemacht, nachdem Sie sich ins Filmstudio zurückgezogen hatten?
Keiner.
Also gar keine Aufführungen mehr?
Jeanne d’arc war in München erledigt, woanders weiß ich nicht; Jeanne d’arc ist mit Trautonium nicht mehr gemacht worden. Ich glaube, sie haben es vor ein paar Jahren nochmals aufgeführt, da haben Sie glaube ich Martenot genommen. Das war aus, da war keine Jeanne d’arc mehr; trauriger Weise hat in Deutschland kein Mensch die Chance wahrgenommen, vielleicht wenigstens damals Interesse zu zeigen, wenn es auch nur um die Ausbildung für so einen Theatereffekt gegangen wäre; nichts.
Wie Sie zu der Arbeit für Hitchcocks Vögel kamen, das haben Sie im Konzert erzählt ((Also der Auftrag kam durch die Bekanntschaft mit einem Kommilitonen aus Hindemiths Tagen, einem Amerikaner, Remi Gassmann, der studierte damals auch bei Hindemith, und kehrte später wieder nach Amerika zurück. Kurze Zeit danach kam ein Brief von ihm, er schrieb, dass er die Leute um Hitchcock kennengelernt und mit ihnen gesprochen hat; sie seien sehr aufgeregt und wüssten nicht, was sie die Vögel akustisch machen sollen. Sie hätten diesen wunderbaren Film gemacht, einen Film über die Vögel und da sollte eine bestimmte Akustik sein, die sie nicht hinbekommen. Mit normalen Vögeln klappte das nicht und etwas anderes wüssten sie nicht. Da hat Gassmann gesagt, dass er da jemanden in Berlin kennen würde, der ihnen das machen könnte; was, in Berlin, da muss er rüberkommen; aber er kann nicht rüberkommen, das ist ja nicht nur ein Instrument, das ist ja ein ganzes Studio, das gehört mit dazu, nein, das geht also nicht. Schließlich kam er zurück mit einem Akt, mit einem Probeakt. Das war natürlich von denen ganz schön leichtsinnig, denn es war der schwerste Akt des ganzen Filmes, ohne dass ich den Zusammenhang kannte; das war der Akt, wo die Melanie auf dem Boden von den Vögeln fast getötet wird. Jedenfalls haben wir den Akt gemacht, haben ihn hier gemischt, dann ging er nach New York und sie haben ihn sich angehört. Drei oder vier Wochen später kam dann der ganze Film, und dann ging es richtig los. Wie wir mit der Mischung fertig waren, kam Hitch eine Woche später, und wir haben ihm den ganzen Film vorgeführt. Er kam mit seinem Hauskomponisten, hat sich alles angehört und schien sehr zufrieden zu sein. Er kam dann gleich in mein Studio, da sind die berühmten Fotos entstanden. Im fertigen Film gab es zu meinem Erstaunen keine Änderungen, überhaupt nichts, es ist alles so geblieben.)).
Wie war das aber, als Hitchcock bei Ihnen war, hat ihn interessiert, wie Klänge zustande kamen? Wie haben Sie denn diese Vogelschreie gemacht, es sind – so denke ich – auch übereinander liegende Klangschichten?
Diese Technik ist ja natürlich eng verknüpft mit der normalen Filmtechnik, mit der normalen Cut-Technik am Schneidetisch. Meine beiden Schneidetische stehen jetzt nun nicht mehr hier, sie stehen in meinem anderen Raum; das war natürlich auch eines der Hauptinstrumente. Als der Chefcutter von Hitch kam und uns ein bisschen beraten wollte, bevor der Meister selbst kam, war er sehr erstaunt über meine Anlage, mit zwei Schneidetischen, die auch noch gekoppelt werden können, so dass man nicht weniger als drei Bänder auflegen und vorführen konnte. Man hätte auch ein viertes noch auflegen können auf 16mm. Ich habe ja alle meine Filme selbst gecuttet, es gab nie eine Cutterin hier an meinen Schneidetischen, das mache ich selber: Überspielen mit der Maschine auf Perfo und das Perfo anlegen am Schneidetisch, das war meine Abendbeschäftigung und hat mir auch immer großen Spaß gemacht. Das kann man auch nicht der Cutterin überlassen, weil die Cutterinnen mit den elektronischen Methoden, dem Erzeugen der Klänge und dem Schichten auf mehreren Bändern gar nicht vertraut sind; die wissen ja gar nicht, was sie damit anfangen sollen. Das geht nicht und das wollte ich auch gar nicht. Was soll ich mich damit befassen fremde Leute einzuweisen, in der Zeit sitze ich lieber selber am Tisch.
Und wie die Effekte hergestellt werden, da war natürlich alles drin, was sich mit dem Mixturtrautonium und der Tonbandtechnik machen liess: seien es nun Überspielungen mit Geschwindigkeitsänderungen – Frequenzumsetzung hatte ich damals noch nicht, aber Ringmodulatoren natürlich um Verzerrungen herauszukriegen. Es war ein ständiges probieren und probieren und probieren, dann aufnehmen, aufnehmen, aufnehmen… Aus diesen Bändern habe ich mir von Fall zu Fall das herausgesucht, was ich dachte – dafür ist jetzt das, diese wüsten Schreie und die nicht ganz so wüsten und die noch ein bisschen normaler sind – und dann habe ich das Ganze zusammengeschnitten; es war also eine ganz kombinierte Arbeit zwischen Instrument, Tonbandtechnik und Film.
Ich fühlte mich immer getrieben, das Instrument bis in Gegenden zu legen, die also noch nie jemand erreicht hatte. Es war einfach reizvoll zu sehen, was elektronisch ging. Und wie man es dann konnte und geschafft hatte, das war für mich dann einfach die Sache, das muss jetzt durchgehalten werden. Aber erst als nach dem Kriege die elektronische Technik sich so fabelhaft entwickelt hat, auch durch die enorme Vervollkommnung der Tonbandtechnik, erst dann kam auch für mich die Möglichkeit, das rein elektronische Klangbild zu entwickeln. Zuerst im Funkstudio, später im eigenen elektronischen Studio. Ich habe mir das Studio Ende der fünfziger Jahre einfach deshalb einrichten müssen, weil alle Versuche, elektronische Musik in Funk- oder Filmstudios zu produzieren wegen des zu großen Zeitaufwandes und der nicht speziell für solche Zwecke eingerichteten Technik nicht die Ergebnisse brachten, die ich mir vorstellte. Es kam hinzu, dass plötzlich eine Welle des Interesses für elektronische Klanggestaltung zum Filmbild heraufzog. Und bald wurde mein Studio bekannt, für die Lösung schwieriger Ton-Bild-Synchronprobleme.
Ich habe viele Geräuschbänder, die man zum Film so mitbekommen hat aufgehoben, zum Teil habe ich selbst noch irgendetwas aufgenommen, aber hauptsächlich habe ich gut gesammelt, damit ich für irgendwelche Zwecke genügend Material hatte, um möglichst viele Szenen synchron machen zu können. Viele Teile meines Archivs können sich glaube ich schon sehen lassen, was Einzelheiten anlangt. Und die Arbeit an der Filmmusik hat mich auch kompositorisch sofort gepackt. Das habe ich die Konzertreisen leichten Herzens aufgegeben, das gebe ich zu, leichten Herzens. Es war sehr schön, im Konzertsaal zu sitzen und mit einem schönen Orchester zu spielen, aber dann das auf ewig weiterführen, das ist natürlich auch strapaziös. Und nicht so erfolgreich wie wenn man einen Film macht, der plötzlich kommt der überall zu sehen ist; da hat die Musik plötzlich einen ganz neuenSinn bekommen.
Und wenn dann der erste Film erst einmal gelingt, zur Zufriedenheit der Auftraggeber ist, der zweite Film schon gleich Preise bekommt, und der dritte schon gleich einen großen Preis bekommt, wie »Stahl. Thema mit Variationen« ((Stahl – Thema mit Variationen (1960 – 12 min). Der Film von Hugo Niebeling wurde 1960 mit dem Grand Prix beim Industriefilm-Festival in Rouen ausgezeichnet, erhielt 1961 den Bundesfilmpreis (Filmband in Gold) und 1997 den Grand Prix in Gold als »Bester Industriefilm der vergangenen 40 Jahre«.)), so etwas spricht sich dann wie eine Lawine rum. Und auch noch ein Industriefilm, der aber kein ganz normaler Industriefilm war, es war ein Film ohne Text, mit fantastischen Schnitten und Bildern, das war einfach phantastisch. Wenn ich an »Stahl« zurückdenke, das war ein ganz schönes Gefummel bis das so saß, diese ganzen Geräusche, da bin ich selbst von den Hämmern beinahe zerkloppt worden. Wie oft musste man das erstens machen, zweitens umspielen, drittens verändern und so; das ist auch alles anstrengend, jeder solche Film ist schon eine gewisse Strapaze, aber damals, da war man richtig fit und scharf auf so etwas.